Auf einen Cappuccino mit Karsten Behr

Karsten Behr
Auf einen Cappuccino mit…

„Den schwarzen Schwan kann man nicht sehen“

Karsten Behr ist Geschäftsführer der Bingo-Umweltstiftung und saß davor lange Jahre im niedersächsischen Landtag. Für ihn heißt es heute mehr denn je, zu wissen was man tut, speziell in der Kapitalanlage einer Stiftung. Was ihn derzeit sonst noch umtreibt, hat er im Gespräch ausführlich geschildert.

Was treibt Sie denn derzeit in Ihrer Stiftung am meisten um?
Karsten Behr: Also an erster Stelle steht für uns das Gewinnen von Nachwuchs für den Naturschutz. Die demografische Überalterung ist doch an allen Ecken und Enden zu spüren. Es fehlt an Menschen, nicht nur an jungen, die bereit sind, Aufgaben im ehrenamtlichen Bereich zu übernehmen. Manche Aktive sind älter als 70 oder 80, und hier geht uns schon jetzt erhebliches Wissen verloren. Bezogen auf unsere Stiftung heißt das, dass wir Wissen rund um die immer noch existente Artenvielfalt verlieren, weil eben manch älterer Mitbürger viel über diese Pflanze oder jenes Tier weiß und dies nicht weitergeben kann. Die zweite Herausforderung ist für uns die Frage, wie wir dazu beitragen können, dass Kinder vermehrt auch wieder direkte Erfahrungen mit der Natur machen, am besten mehrfach. Wer früh animiert wird, engagiert sich später vielleicht eher.

Da kann ich aus meiner Vergangenheit berichten, dass wir im Schulgarten frühzeitig beispielsweise mit Tomatenpflanzen und Fruchtfolgen konfrontiert wurden und man sich heute daran zurück erinnert bei der Frage, woher das Essen eigentlich kommt.
Behr: Ich kann jedem nur empfehlen, solche Erfahrungen so früh wie möglich zu machen. Was uns auch umtreibt ist, dass unsere Projekte nachhaltiger werden. Wenn ich mir das Problem des Insektensterbens anschaue, dann lassen wir beispielsweise auf unseren Streuobstwiesen Sommerlinden pflanzen, da diese das entsprechende Nahrungsangebot für Bienen im Sommer bereithalten. Dort wo es mit der Monokultur übertrieben wird, leiden Bienen im Juli wirklich Hunger. Die ganze Blühstreifenthematik wollen wir daher viel stärker in den Vordergrund rücken, dazu müssen wir Landwirtschaft und Naturschutz wieder enger zusammenbringen. Das Naturnetz Niedersachsen z.B. hat mittlerweile 58 Mitglieder, darunter 37 Stiftungen, und das oberste Motto heißt Brückenbauen. Uns liegen hier praktische Naturschutzprojekte am Herzen, wir wollen stärker an den Schulen präsent sein und Kinder wie Jugendliche für den Naturschutz begeistern.

Hat derlei auch etwas Integratives?
Behr: Das würde ich wohl meinen. Wenn Kinder hier etwas zusammen machen, beschäftigen sie sich schnell mit ihrer Heimat, sie erleben etwas gemeinsam und stellen die persönliche Problemlage durchaus hintenan. Das sehen wir, wenn wir mit Kindern arbeiten, die Effekte sind ausgesprochen positiv.

Wenn wir das Thema Nachhaltigkeit mal etwas globaler betrachten, dann sind die Herausforderungen hier auch mannigfaltig. Worüber machen Sie sich am ehesten Sorgen?
Behr: Also wenn mir alle erzählen, dass wir jetzt nur noch Elektroautos bauen und uns damit komplett abhängig vom Strom machen sollen, übrigens wird ähnliches auch in Richtung Wärmeversorgung diskutiert, dann halte ich das für falsch. Grundsätzlich ist Diversifikation in der Strominfrastruktur ein hohes Gut genau wie auch in der Vermögensanlage. Ich glaube, wir sollten uns viel stärker als bisher der Wasserstofftechnologie und der Brennstoffzelle zuwenden. Ich warne auch davor, jedes Wetterphänomen gleich dem Klimawandel anzulasten. Auch bin ich sehr unsicher, ob wir Menschen den Temperaturanstieg wirklich auf 2 Grad begrenzen können, das scheint mir eher ein Zeichen menschlicher Hybris zu sein, unter der durchaus die Glaubwürdigkeit der ganzen Debatte leiden könnte. Es ist absolut richtig, dass wir den Verbrauch von fossilen Energieträgern reduzieren müssen, aber Panik hilft uns nicht weiter. Wenig hilfreich ist auch die Dieseldiskussion, denn dieser ist nach wie vor der effizienteste Verbrennungsmotor mit dem geringsten CO²-Ausstoss, er wurde nur nicht so sauber gemacht, wie man das hätte machen können. Da sind schlimme Fehler passiert!

Am Ende müssten wir aber auf eine Verhaltensänderung hinwirken, denn der Verbraucher ist doch der, der das Auto fährt. Oder wie sehen Sie das?
Behr: Als ich noch jung war haben wir zum Beispiel Sondermüllsammelaktionen organisiert. Schon damals war das Thema der „Externen Kosten“ in der Diskussion. Wir wussten, dass wir nicht nur die Produktionskosten eines Produktes rechnen müssen, sondern auch die Kosten etwa für dessen Entsorgung. Was lösen eigentlich die Abgase eines Autos aus, das sind Fragen, die ich mir stellen muss. Oder was kostet es, wenn sich Mikroplastik in Fischen ansammelt. Wenn man diese Rechnungen anstellen würde, dann würde vermutlich eine Verhaltensänderung viel eher erfolgen, denn letztlich lässt sich eben doch sehr viel über den Preis regeln. Wenn dieser auch die Kosten für die Allgemeinheit beinhalten würde, dann würden sich viele Fragen nicht mehr stellen. Würde eine Plastiktüte einen Euro kosten, dann würde keiner mehr eine Plastiktüte kaufen. Eine Welt des eher qualitativen Wachstums könnte dieses ewige Kaufen und Wegwerfen einfacher überwinden.

In Wohlstand für alle spricht Ludwig Erhard ja auch über genau diesen Zustand einer Volkswirtschaft, der gekennzeichnet wäre von qualitativem Wachstum.
Behr: Das Streben nach Wachstum liegt in der Natur des Menschen begründet, aber brauchen wir von allem jeden Tag immer mehr? Brauchen wir T-Shirts, die wir nur einen Tag tragen? Nein, ich glaube, da sind wir an einem Punkt angelangt, an dem immer mehr Menschen anfangen, zu überlegen und dieses Verhalten kritisch zu hinterfragen.

Das ist sicherlich so. Wenn wir beim Punkt des Überlegens bleiben: Was waren Ihre Überlegungen hinsichtlich eines nachhaltigen Anlagekonzepts?
Behr: Als ich das erste Mal damit konfrontiert war, sprachen wir hier über Fonds mit einem ökologischen Anstrich, wo mir aber deutlich gesagt wurde, dass hier die Wertentwicklung gar nicht so sehr im Vordergrund stehe. Für mich war das nicht unbedingt der richtige Ansatz. Natürlich könnten wir in Windkraftanlagen investieren, aber dabei gibt es zwei Schwierigkeiten. Ist eine Windanlage als wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb konzipiert, dann kann ich es als Stiftung nicht machen. Daneben sind die Mindestinvestments häufig recht hoch, wenn ich mehrere Millionen für einen Anteil an einem Windfonds aufwenden muss, dann ist das für uns und auch viele andere Stiftungen nicht umzusetzen. Für die kleinen und mittleren Stiftungen wird da die Luft schnell dünn, nicht zuletzt da auch die Reglementierung enorm zugenommen hat. Glücklicherweise hat sich die Landschaft mittlerweile so verändert, dass es weit mehr Anlageprodukte für weit mehr Sparten gibt als noch vor 5 oder 10 Jahren. Aber ich bin längst noch nicht in der Lage, den Kapitalmarkt gänzlich über nachhaltige Produkte abzudecken. Aber wir sind auf einem guten Weg auch ohne Einzelaktien, unternehmerische Beteiligungen oder das Eingehen von Klumpenrisiken ein weitgehend nachhaltiges Portfolio zu konzipieren.

Wie prüfen Sie denn ein Investment, ob es für Ihre Stiftung passt?
Behr: Einzelaktien machen wir nicht, entsprechend haben wir hier kein Prüfverfahren. Bei Fonds sieht das schon anders aus. Hier schauen wir uns zuerst an, was das Fondsmanagement und was die Fondsgesellschaft en detail machen. Ich muss schon verstehen, was dort mit meinem Geld passiert. Natürlich muss ich auch auf die Performance blicken, daneben auch auf die Gebühren. In meinen Augen ist es immer noch erstaunlich, wie wenig sich Stiftungen mit den Kosten ihrer Kapitalanlage beschäftigen. Immerhin wissen inzwischen immer mehr Stiftungen, dass sie Fonds ohne Ausgabeaufschlag kaufen können, vor 10 Jahren war das noch ganz anders. Ausgabeaufschläge sind, so sie noch erhoben werden, in jedem Fall zu verhandeln. Auf einer Veranstaltung entgegnete mir ein Stiftungsvorstand einmal, dass aber doch die Banken auch noch leben müssten, diese Denke kann ich leider aus Stiftungssicht nicht nachvollziehen. Schließlich schaue ich mir noch Zertifizierungen, vor allem zum Thema Nachhaltigkeit an, da entwickelt sich auch einiges.

Also geben Ihnen Zertifizierungen eine Orientierung?
Behr: Ich würde hier weniger von mir ausgehen, aber die Mehrheit der Stiftungen sucht ja nach Anlagen mit wenig Risiko, aber etwas Ertrag soll es schon sein. Viele Fonds sollen das liefern, aber diese Fonds muss ich auch verstehen. Und da helfen mir Zertifizierungen. Für viele Stiftungen ist ein Kursverlust das Risiko schlechthin, in Wahrheit ist ein Kursverlust aber zunächst nur eine Bewegung nach unten. Nur weil ein Portfolio stärker schwankt, heißt das nicht, dass das Risiko automatisch höher ist. Als Stiftung muss ich in diesem Zusammenhang wissen, welche Bewegung ich aushalten kann, und das muss ich aus Informationen zu den Fonds ableiten können. Ich muss wissen, wie ein Fonds konstruiert ist, ob derivative Anteile enthalten sind, nach welchen Kriterien Aktien und Renten ausgewählt werden. Auch kann ich Produkte mit einem etwas höheren Risiko kaufen, damit aber das Gesamtrisiko des Stiftungsportfolios senken. Genau davon haben aber leider viele Vorstände im Stiftungsbereich keine Kenntnis.

Brauchen wir so etwas wie eine Initiative pro Finanzwissen in Stiftungen?
Behr: Das täte dem Ganzen gut. Wenn Sie sich zum Beispiel den Hype um Mission Investing anschauen. Da werden viele große Worte produziert, ohne gleich die passenden Produkte nachzuschieben. Stiftungen dürfen sich diese Themen nicht diktieren lassen, sondern müssen von sich aus mit gesundem Menschenverstand überlegen, wie sie ihrem Stiftungszweck gemäß die richtigen Anlagen wählen. Wir zum Beispiel fördern Entwicklungszusammenarbeit, haben daher auf der Anlageseite z.B. in Mikrofinanz investiert, wohlgemerkt über Fonds. Die Rendite ist zwar nicht überdurchschnittlich, aber durch die Mikrokredite werden vor Ort vor allem Frauen dabei unterstützt, unternehmerisch tätig zu sein. Das passt für uns einfach, in diesem Zusammenhang macht diese Anlage für uns viel Sinn, weil darüber Strukturen von unten geschaffen werden können. Auch ein Investment in Small-Caps in den Emerging Markets kann einen solchen Gedanken unterstützen. Stiftungen sollten nicht glauben, dass Nachhaltigkeit einfach umzusetzen ist. Wenn eine Stiftung weiß, was sie machen möchte, dann kann sie aber durchaus Fonds finden mit Unternehmen, die eine langfristige und damit nachhaltige Geschäftspolitik verfolgen. Aber nicht jeder New Energy Fonds z.B. hat gehalten, was er versprochen hat. Die übergeordnete Idee stimmte zwar, aber es war nicht gut gemacht. Im Solarbereich hat die Stiftung mal Anleihen gehalten, die dann leider notleidend geworden sind.

Wie vermeiden Sie als Stiftung solche Entwicklungen?
Behr: Das würde ich unter dem berühmten schwarzen Schwan subsummieren, und den kann man bekanntlich nicht kommen sehen. Stiftungen brauchen eine Anlagerichtlinie, die ihnen einen Rahmen gibt, aber Stiftungsvorstände müssen diese auch leben können. Umso mehr, je diffiziler sich das Bild der Märkte darstellt. In meinen Augen ist die aktuelle Diskussion zu den Märkten durchaus interessant. Das Bild der Pessimisten ist relativ rund, denn die Hausse ist reif, die Bewertungen sind relativ hoch, genauso wie die politische Unsicherheit. Das mag auch alles stimmen. Was ich mich aber frage ist, wohin denn die Liquidität soll, die immer noch so überaus reichlich vorhanden ist. Es hat sich noch keine totale Blase gebildet, es ist nach wie vor ausreichend Skepsis im Markt vorhanden. Was ich interessant finde ist, dass die M&A-Aktivitäten immer dann am höchsten sind, wenn die Kurse oben sind. Dort wird Analysen zufolge derzeit Dynamik aufgebaut, und das wäre dann ein Signal dem Markt mal temporär den Rücken zu kehren. Wenn ich in meinen Erfahrungsschatz schaue, dann ist der Mensch ein Herdentier, und dann hilft es in der Regel ganz gut, mit seinen Anlagen breit aufgestellt zu sein. Vielleicht müssten sich Stiftungen das noch mehr zu eigen machen. Und ab und an ist es von Vorteil auch mal einen Gewinn mitzunehmen und den dann in die Umschichtungsrücklage einzustellen, das macht für Stiftungen schon sehr viel Sinn.

Dann hoffen wir, dass sich mehr Stiftungen hiervon inspirieren lassen. Haben Sie vielen Dank für diesen tiefen Blick in Ihre tägliche Praxis.

Das Interview führte Tobias M. Karow.