Auf einen Cappuccino mit Klaus Stüllenberg

Klaus Stüllenberg
Auf einen Cappuccino mit...

„Wir legen Wert auf den Aufbau eines Portfolios“

Mit Klaus Stüllenberg an seinem Frühstückstisch zu sitzen, ist eine wahre Freude. Gegenüber sitzt ein Stifter, der seine Aufgabe ernst nimmt, der sich dem Stiftungszweck voll und ganz verschreibt – und der auch nicht vor ungewöhnlichen Wegen zurückschreckt, um den Zweck zu erfüllen. Im Gespräch zeigt er einen dieser Wege auf und erörtert, warum er findet dass Fonds die prädestinierte Anlageform für Stiftungen sein sollten.

Wo sind aktuell die großen Herausforderungen für Ihre Stiftung?
Klaus Stüllenberg: Also die Herausforderungen sind in der Tat vielfältig. Auf der fachlichen Ebene, also die Sphäre der Zweckerfüllung, befassen wir uns mit der Kriminalprävention, also mit wissenschaftlich basierten Erkenntnissen dazu beizutragen, dass bestimmte Kriminalitätsformen nicht mehr oder nicht mehr so häufig vorkommen. Auch wollen wir dazu beitragen, dass Kriminalitätsformen, die es heute noch nicht gibt, die es dafür aber künftig geben wird, gar nicht auftreten bzw. frühzeitig gegengesteuert werden kann. Wir müssen also zunächst wissen, welche Themenbereiche im Bereich der Kriminalität künftig relevant werden und ob wir uns bestimmter Kriminalitätsphänomene annehmen wollen. Beides tun wir. Seit dem Jahr 2000 veröffentlichen wir aller zehn Jahre eine Zukunftsstudie zur Entwicklung der Kriminalität. In spätestens zwei Jahren wissen wir also, ob das was wir vor 10 Jahren mit dem Fokus 2020 entwickelt haben, auch eingetreten ist. Wir haben uns gefragt, wie sich diese Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt Sicherheit entwickeln wird und wohin sich die beteiligten Akteure bewegen werden.

Was waren damals, also im Jahr 2010, Ihre Schlussfolgerungen?
Klaus Stüllenberg: Wir haben gesagt, dass sich die Gesellschaft total heterogen entwickeln wird und wir keine Homogenität mehr haben werden, was die einzelnen Ziele der Gesellschaft anbelangt. Mehr und mehr wird die Gesellschaft unberechenbarer werden hinsichtlich dem Themenkreis Sicherheit. Diese Zukunftsstudie ist auch konzipiert worden, um der Politik ein paar Ideen an die Hand zu geben, was sie tun kann, damit das von uns skizzierte Szenario nicht eintreten kann. Damals sind wir dafür gescholten worden. Leider kümmert sich die Politik nicht um das was eintreten könnte, sondern nur um das was eingetreten ist oder wo aktuell gerade drückt. Es muss also Handlungsdruck spürbar sein. Die Folgen lassen sich nun, bezogen auf unser Themenfeld, ablesen. Unsere Prognosen aus unserer Zukunftsstudie sind bereits heute nahezu weitgehend eingetreten, aus heutiger Sicht ist die Zukunftsstudie keine Zukunftsstudie mehr.

Klaus Stüllenberg:

Klaus Stüllenberg hat eine klare Meinung, wie Stiftungen in der Fondsanlage vorgehen sollten: „In den Fonds sitzen die Profis, aber ich muss verargumentieren können, warum ich genau in diese fünf Fonds investiert habe. Aber das lässt sich bewerkstelligen. Kriterien festlegen, Anlagerichtlinie festlegen, Sitzungen und Entscheidungen dokumentieren, und durchaus auch mal Veranstaltungen besuchen und den Leuten Löcher in den Bauch fragen. Irgendwann kommt man dann schon an einen Punkt, wo man anfängt, Dinge zu verstehen.“


Neben der Studie sind Sie mit Ihrer Stiftung auch noch themenbezogen „unterwegs“. Was heißt das?
Klaus Stüllenberg: Das muss ich an einem konkreten Beispiel festmachen, etwa beim Themenbereich Pädophilie oder Kinderpornografie im Internet. Die Polizei ist hier in der Strafverfolgung durchaus aktiv, aber das reicht nicht aus. Vielmehr muss man sich auch mit den Konsumenten dieses Materials beschäftigen, also den Pädophilen. Vorbildhaft macht das seit Jahrzehnten die Berliner Charité unter Prof. Klaus Beier, der dort Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft ist. Hier wurde nun Interessantes zutage gefördert. Pädophile haben in der Regel eine Entwicklung hinter sich, das Ergebnis jedoch wollen die wenigsten. Sie wissen nur nicht, wie sie mit ihren Neigungen umgehen sollen. Laut Prof. Beier gibt es nur eine Chance: eine fortlaufende Betreuung mit dem Ziel zu erkennen, dass man diese Neigung nicht ausleben darf. Das Projekt, das „Kein Täter werden“ heißt, ist extrem erfolgreich. Wir haben das sehr früh erkannt und auch angefangen zu unterstützen. Mittlerweile umfasst das Programm mehr als 300 Probanden deutschlandweit und hat einen immensen Präventionseffekt entwickelt. Darüber kann man schlecht schreiben, das ist nicht unbedingt berichtenswert. Aber für uns ist es enorm wichtig, denn hier wird Kriminalprävention greifbar.

Hochspannend, und augenscheinlich hoch relevant im Sinne Ihres Stiftungszwecks. Gibt es eventuell noch andere Beispiele?
Klaus Stüllenberg: Stellen Sie sich eine Geiselnahme vor. Der Geiselnehmer drückt der Geisel die Waffe an den Kopf, um sein Ziel zu erreichen. Die Polizei ist in Stellung und kann den finalen Rettungsschuss abgeben. Eine Frage stellt sich aber: Macht es für den Einsatzleiter einen Unterschied, ob die Szenerie für sich steht oder ob der Geiselnehmer live per Smartphone überträgt, was gerade passiert. Wir fragten uns bei dieser Gemengelage, ob es einen Unterschied machen darf. Rein rechtlich darf es das nicht, aber tatsächlich wird es einen Unterschied machen. Die Frage ist also, wie sich die Polizei in extremen Einsatzlagen auf die Nutzung der neuen Medien einstellen. Rechtlich ist sie eingeschränkt, aber auch taktisch sind neue Muster vonnöten. Daran haben wir zwei Jahre mit der Hochschule der Polizei geforscht, und zwar international. Die Erfahrungen und Erkenntnisse haben wir gebündelt in Maßnahmen der Polizei, damit diese in solchen Situationen handlungsfähig sein kann.

Inwiefern verfangen Ihre Initiativen oder Ideen?
Klaus Stüllenberg: Naja, die Politik hat nicht den Anreiz Dinge zu denken, die noch nicht da sind.

Aber Geiselnahmen hat es schon einige gegeben. Neu ist das nicht.
Klaus Stüllenberg: Das stimmt natürlich, aber der Einsatz neuer Medien auf Täterseite ist schon neu und nimmt weltweit rasant. Für solche Entwicklungen braucht es nun einmal vonseiten der Politik auch Ressourcen, und wenn die nicht da sind, wird auch nichts passieren. Andersherum eröffnet uns das genau den Raum, um Aktivitäten zu entfalten. Als forschende Stiftung unterwegs zu sein, ist absolut spannend, aber auch absolut aufwändig.

Aufwand ist ein guter Punkt. Auch in der Sphäre der Vermögensverwaltung muss der Aufwand heute ein anderer sein. Wie begegnen Sie dem?
Klaus Stüllenberg: Da muss ich etwas ausholen. Einmal brauchen wir keine Spenden, wir beantragen keine Fördermittel und würden solche auch nicht annehmen. Alles das, was wir auf der Zwecksphäre leisten, bestreiten wir aus den Erträgen der Vermögensverwaltung. Das schränkt uns ein, auch weil wir bewusst kein Fundraising machen wollen. Diese Einschränkung führt dazu, dass wir Vermögensverwaltung sehr genau auf den Prüfstand stellen müssen, weil wir sie mit eigenen Kräften bestreiten. Wir legen also Wert auf den Aufbau eines Portfolios, das uns neben den Erträgen auch einen Substanzzuwachs ermöglicht. Das bedeutet, ich kann nicht nur in Stiftungsfonds investieren.

Sie investieren also ausschließlich in Fonds?
Klaus Stüllenberg: Erkläre ich gleich, lassen Sie mich eine Schleife drehen. Insgesamt muss ich eine kreativere Form des Investments wählen, also verschiedene Fonds selektieren und auch Direktinvestments. Das Ganze muss ausgewogen dargestellt werden, damit das Diversifikationsgebot eingehalten wird. Außerdem müssen wir vordenken, was passiert, wenn die Erträgnisse nicht mehr so sprudeln. Denn dann ist Ebbe auf der Zweckseite. Darum haben wir uns an die Stiftungsverwaltung gewendet. Die Aufgabenstellung war, eine Lösung zu finden für den Fall, dass die politischen Entscheidungen es unserer Stiftung unmöglich machen, weiter auskömmliche Erträge auf der Zinsseite vereinnahmen zu können. Also haben wir angeregt, aus unserer Stiftung zeitlich partiell eine Verbrauchsstiftung zu machen. Die Stiftungsverwaltung hat das aber negiert, mit der Begründung, man könne eine auf Ewigkeit angelegte Stiftung nicht in eine auf Zeit angelegte Verbrauchsstiftung umwandeln. Denktheoretisch ging das nicht, formalrechtlich auch nicht, löste aber unser Problem auch nicht. Die Alternative ist nun, auf das mindere Mittel zurückzugreifen, also das Stiftungskapital zur Finanzierung des Stiftungszwecks heranzuziehen. Diesen denktheoretischen Zugriff auf das Stiftungskapital haben wir mit der Aufsicht abgestimmt, eine Ergänzung zur Satzung formuliert und uns Anfang 2017 genehmigen lassen.

Was steht dort nun drin?
Klaus Stüllenberg: Unter der Voraussetzung, dass die Kapitalmärkte nichts mehr hergeben, die Stiftungszwecke aber erfüllt werden sollen, kann auf das Stiftungskapital zugegriffen werden – solange eben jene Phase an den Kapitalmärkten dauert. Auch ist die Maßgabe aufgenommen worden, sollte sich die Situation an den Märkten ändern, diese entnommenen Mittel wieder aufzufüllen. Sollten wir also, trotz immenser Anstrengungen in der Vermögensverwaltung, die erforderlichen Erträge nicht erwirtschaften, haben wir einen Plan B in der Tasche. Dieser Weg kann in meinen Augen auch einer für andere Stiftungen sein, wohlwissend, dass es einen ernsten Austausch mit der Stiftungsaufsicht braucht. Unsere Erfahrungen sind aber, dass sich eine Stiftungsverwaltung mit guten Argumenten auf sachgerechte Lösungen einlässt.

Wie würden Sie Ihre Strategie in der Vermögensverwaltung grundsätzlich beschreiben?
Klaus Stüllenberg: Wir teilen unser Vermögen in unterschiedliche Dachkategorien ein. Einmal möchte ich wissen, in welche Assetklasse ich investieren möchte, dann ob ich es direkt oder indirekt machen möchte. Ist letzteres das Mittel der Wahl, lautet die Frage, welchen Weg ich sinnvoll beschreiten will. Geschlossene Fonds sehen wir zum Beispiel kritisch, direkte Beteiligungen machen wir, aber immer nur mit einem klar begrenzten Anteil am Gesamtportfolio. In den Assetklassen selbst bilden wir das Ganze gerne über Fonds ab. Warum? Weil wir selber von den Assetklassen zu wenig Ahnung haben. Wie kann ich einen Markt in Asien beurteilen, wie soll ich wissen, welche Branche und welcher Einzelwert dort der Beste ist. Das kann ich nicht.

Und nur die wenigsten Stiftungsverantwortlichen werden das können.
Klaus Stüllenberg: Völlig richtig, da müssen wir auch ehrlich zu uns sein. Also lande ich bei Fondslösungen, und damit schlage ich den Bogen zu Ihrer Frage von vorhin. Nehmen Sie doch mal den Anleihebereich. Hier muss ich mich als Stiftungsvorstand mit Märkten, mit Restlaufzeiten, mit Unternehmen- oder Staaten und deren Bonitäten befassen, das bekomme ich nicht hin. Das ist zu komplex. Es gibt aber genügend Fondsanbieter, die das können, die das tagtäglich machen. Nochmal granularer wird es dann, wenn ich die Managementstile miteinander vergleiche. Diese sollten ebenfalls unterschiedlich sein, dann kann ich Fonds, die eigentlich in dieselbe Anlageklasse investieren, auch kaufen. Andernfalls habe ich ja zwei, die das Gleiche tun, was mich hinsichtlich Diversifikation nicht weiter bringt. Unser Portfolio ist also sehr heterogen aufgesetzt, wir haben viele Fondspositionen im Depot. Voraussetzung ist für uns auch, dass wir mit dem Fondsmanagement sprechen können. Klappt das nicht, fällt der Fonds raus. Denn läuft ein Fonds gegen unsere Erwartung, dann wollen wir wissen, was los ist – und zwar aus erster Hand. Es kann sein, dass der Manager einen Fehler gemacht, es kann sein, dass sich der Managementstil als nicht gut genug herausstellt. Es kann unterschiedlichste Gründe für eine Underperformance geben. Kann uns das Management das erklären, dann kaufen wir nach. Geht ein Fonds 5% nach unten, dann kaufen wir 20% der Position nach. Auf dem Weg nach oben produziert das Portfolio dann einen Mehrertrag, der auf die Substanz einzahlt. Natürlich suchen wir bei den Fonds zumeist nach den ausschüttenden Tranchen, und ich kann auch nur empfehlen, immer eine Liquiditätsreserve vorzuhalten. Denn wovon kaufe ich sonst nach.

Das klingt ausgeklügelt, aber Sie sind auch ein versierter Stiftungsvorstand. Jemand der nicht so versiert ist, muss sich nun aber verstärkt mit dem auseinandersetzen, was er macht. Hier kommt dann so ein Tool wie der Transparenzbericht ins Spiel, oder?
Klaus Stüllenberg: Also ich teile Ihre Meinung, dass man sich eingehender mit Anlageprodukten wie Fonds auseinandersetzen muss. Nur das Facesheet wird nicht ausreichen. Sofern so ein Transparenzbericht den Stiftungsvorstand befähigt, Entscheidungen zu treffen, kann man zu einer Lektüre nur zuraten. Aber Transparenz ist nicht unbedingt ein Kriterium, dass über die Ertragsfähigkeit eines Konzept etwas aussagt. Wenn beides jedoch zusammenkommt, umso besser. Ganz wichtig ist aber, Entscheidungen anhand von Kriterien herbeizuführen und dies dann auch zu dokumentieren. Darauf verwenden wir viel Zeit, und sind damit auch was die Haftung angeht aus dem Schneider. Sicherlich waren einige unserer Entscheidungen rückblickend weniger erfolgreich, aber die Entscheidungsgrundlage war klar, die Dokumentation dazu macht es zudem nachvollziehbar. Das muss gewährleistet sein, wenngleich sachgerechte Entscheidungen gut begründete Entscheidungen sind, womit wir wieder beim einen Werkzeug wie dem Transparenzbericht sind. Für viele Stiftungen kann es schon sinnvoll sein, so etwas zu nutzen.

Woher kommen denn genau die Ängste der Stiftungsverantwortlichen vor dem Themenkomplex Kapitalanlage?
Klaus Stüllenberg: Da wird schon viel geschürt durch immer umfangreichere Regelwerke, wo ein normaler Stiftungsvorstand automatisch Respekt vor hat. Viele entscheiden sich daher, die Kapitalanlage in andere Hände zu geben, also delegieren, und nur mehr zu überwachen und zu kontrollieren. Im Zweifel ist das der richtige Weg. In den Fonds sitzen die Profis, aber ich muss verargumentieren können, warum ich genau in diese fünf Fonds investiert habe. Ich kann das, die Mehrheit der Stiftungsverantwortlichen kann das nicht, oder sagen wir es optimistisch: noch nicht. Aber das lässt sich bewerkstelligen. Kriterien festlegen, Anlagerichtlinie festlegen, Sitzungen und Entscheidungen dokumentieren, und durchaus auch mal Veranstaltungen besuchen und den Leuten Löcher in den Bauch fragen. Irgendwann kommt man dann schon an einen Punkt, wo man anfängt, Dinge zu verstehen. Dass es für einen ehrenamtlichen Verantwortungsträger viel ist, weiß ich, und es ärgert mich auch, denn der der seine Zeit an eine Stiftung verschenkt, sollte nicht derart in Anspruch genommen werden. In der Wirtschaft würden solche Leute hochbezahlt, in der Stiftungslandschaft erntet man im besten Fall Dank, und ab und an den erhobenen Zeigefinger. Eine Novelle des Stiftungsrechts sollte sich vor allem damit beschäftigen, es den Ehrenamtlern einfacher und nicht noch schwerer zu machen.

Ein wahres Wort, ich kann Ihren Gedanken sehr gut nachvollziehen. Haben Sie vielen Dank für das offene und lebendige Gespräch, und danke, dass ich Gast in Ihrem Haus sein durfte.

Das Interview führte Tobias M. Karow.